Zurück in die Wildnis: Warum es ein langer Weg bis zur Auswilderung ist

Im Rahmen der 46. Auswilderung von BOS kehren insgesamt sieben Orang-Utans aus der BOS-Rettungsstation Nyaru Menteng in den Bukit-Baka-Bukit-Raya-Nationalpark zurück. Die Tiere haben zwischen zehn und über zwanzig Jahre Rehabilitation hinter sich. Denn Orang-Utans haben aufgrund ihrer hohen kognitiven Entwicklung eine lange Lern- und Abhängigkeitsphase. Warum sich trotzdem oder eben genau deswegen jede einzelne Rettung und Rehabilitation lohnt, erfahren Sie hier.
Wenn Sie diesen Text hier lesen, werden gerade die letzten drei Orang-Utans unseres 46. Release in die Freiheit entlassen. Berunay, Momot, Otan und Wibowo konnten bereits am Wochenende in den Wald zurückkehren, nun folgen ihnen ihre Artgenossen Ficz, Putri und Kapuan. Damit endet für diese Tiere eine jahrelange Phase der Rehabilitation und sie kehren dahin zurück, wo sie hingehören: in die Wildnis.

Ein langer Weg für Orang-Utan und Mensch
Bis zur Auswilderung ist es ein langer Weg. Zwischen 10 und 21 Jahren dauerte es, bis die oben genannten Orang-Utans bereit für ihr neues Leben in der Wildnis waren. Warum ist dieser Prozess so mühsam und langwierig? Und lohnt sich das überhaupt, wenn ein einzelner Affe so viel Zeit und Geld in Anspruch nimmt?
Orang-Utans gehören zu den intelligentesten Säugetieren. Ihr IQ liegt zwischen 70 und 90; beim Menschen beträgt der Durchschnitt etwa 100. Kognitiv sind sie uns also erstaunlich nahe. Wie beim Menschen ist ihr Gehirn bei der Geburt noch nicht vollständig entwickelt. Je grösser ein Gehirn ist, desto länger dauert seine Reifung und desto weniger läuft rein über den Instinkt. Fähigkeiten müssen über Erfahrung und Wiederholung erlernt werden.

Spielerisch lernen
Das zeigt sich besonders im Spiel. Während Tiere mit kleinen Gehirnen Gefahren weitgehend instinktiv einschätzen, müssen Orang-Utans solche Situationen erst erproben und verstehen. Spielen bedeutet für sie, Kämpfen zu üben, ohne verletzt zu werden, und Jagd- oder Nahrungsstrategien auszuprobieren, ohne ein Risiko einzugehen. Da ein komplexes Gehirn mehr Fähigkeiten benötigt, ist die Lernphase entsprechend lang: Orang-Utans müssen soziale Abläufe verhandeln, kommunizieren, Strategien entwickeln sowie Kooperation und Konkurrenz einordnen. Diese Kompetenzen entstehen nicht automatisch, sondern nur über jahrelange Erfahrung.
Ein Mensch wäre etwa mit zwölf Jahren in der Lage, unter günstigen Bedingungen selbstständig zu überleben. Bei Orang-Utans liegt dieser Zeitpunkt im Durchschnitt bei rund acht Jahren. Das erklärt auch die langen Abstände zwischen den Geburten bei Orang-Utan-Weibchen. Mehrere abhängige Babys zu versorgen und derart auszubilden im gefährlichen Regenwald würde schlichtweg zu viel Energie beanspruchen.

Warum es in Rettungsstationen länger dauert
Wächst ein Orang-Utan unter idealen Bedingungen bei seiner Mutter in der Wildnis auf, dauert es also rund acht Jahre, bis er selbstständig leben kann. Wird ein Jungtier jedoch in einer Rettungsstation von Menschen aufgezogen, kann sich die Lernphase schnell mal verdoppeln. Das hat mehrere Gründe. Es macht einen Unterschied, ob ein Orang-Utan von einem erfahrenen Orang-Utan-Weibchen oder von Menschen geprägt wird. Viele Verhaltensweisen können wir allein aufgrund der körperlichen und sozialen Unterschiede nicht direkt vermitteln. Hinzu kommt, dass zahlreiche Tiere traumatisiert in unseren Stationen ankommen, manche nach Jahren der Gefangenschaft. Je länger ein Orang-Utan ausserhalb seines natürlichen Lebensraums lebt, desto anspruchsvoller wird es, ihn wieder auf ein Leben in der Wildnis vorzubereiten.

Je grösser das Gehirn, desto höher die Überlebenschancen
Kurz gesagt: Je grösser das Gehirn, desto länger die Abhängigkeit in der Entwicklungsphase. Das hat jedoch auch Vorteile. Tiere mit komplexen Gehirnen verfügen über höhere Überlebenskompetenzen. Orang-Utans können Situationen einschätzen, Strategien entwickeln und Handlungen planen. Sie wählen sichere Schlafplätze, erkennen Risiken und können Feinden ausweichen oder sie sogar austricksen. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für ihr Überleben im Regenwald.
Gerade weil Orang-Utans nur selten Nachwuchs bekommen, ist jedes einzelne Tier von grosser Bedeutung für die Stabilität der Population. Die jahrelange Vorbereitung lohnt sich daher für jeden einzelnen Orang-Utan und für den Fortbestand der Art.
