Die Waldschule: Wie Orang-Utans das Überleben lernen
In der BOS-Waldschule lernen verwaiste Orang-Utans alles, was sie für ein Leben in Freiheit brauchen: klettern, Nahrung suchen, Gefahren erkennen und sich in einer Gruppe zurechtfinden. Was ihnen in der Natur von ihren Müttern beigebracht wird, vermitteln hier erfahrene menschliche Ersatzmütter. Auch Jeni, ein aufgewecktes Orang-Utan-Mädchen, macht auf diesem Weg grosse Fortschritte.
Nach den ersten zwei bis drei Lebensjahren im Babyhaus und Waldkindergarten wartet auf die jungen Orang-Utans der nächste grosse Schritt: die Waldschule. Geschützte Waldgebiete innerhalb unserer Rettungsstationen bieten ihnen die Möglichkeit, all das zu lernen, was sie für ein selbstständiges Leben im Regenwald brauchen. Die wichtigsten Überlebens-Skills sind Klettern, Nestbau, Nahrungssuche und soziale Interaktion. Begleitet von ihren menschlichen Ersatzmüttern ziehen die Schülergruppen morgens nach dem Znüni los, um den Tag im Grünen und möglichst weit oben in den Baumwipfeln zu verbringen.

Vom traumatisierten Waisenkind zur Waldschülerin
Eine dieser fleissigen Waldschülerinnen ist Jeni. Als sie mit nur zehn Monaten in die Rettungsstation kam, war sie kaum mehr als ein Häufchen Elend: traumatisiert, mit Wunden am Rücken und einem verletzten Bein. Die ersten drei Monate forderten vom BOS-Team viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Heute, dreieinhalb Jahre später, ist Jeni kaum wiederzuerkennen. Sie ist frech, verspielt, clever und immer für eine Überraschung gut. Besonders liebt sie es, sich in matschige Pfützen zu legen oder die Ersatzmütter mit einer nassen Umarmung zu überraschen.

Ein Tag in der Waldschule
Der Waldschultag beginnt gegen sieben oder acht Uhr morgens. Zuerst bereiten die Babysitterinnen das Frühstück aus Früchten und Gemüse vor. Anschliessend begleiten sie die Jungtiere, welche die Nacht in Gemeinschaftsgehegen verbracht haben und sehnsüchtig auf den Schulstart warten, in den Wald. Ab jetzt kommt keine Karrette als Schulbus mehr zum Einsatz. Die Orang-Utan-Kinder sind zudem zu schwer zum Tragen. Es wird also (oft an der Hand einer Babysitterin) gelaufen! Die Mutigen stürmen schon mal voraus.
Nach dem Frühstück im Wald beginnt das Tagesprogramm. Die Orang-Utans klettern, bewegen sich in den Bäumen, suchen nach Nahrung wie Blättern, Früchten oder Rinde und lernen den Einsatz einfacher Werkzeuge, etwa Stöckchen zum Stochern nach Termiten und Maden. Die Ersatzmütter zeigen es den aufmerksamen Schülern und Schülerinnen mit viel Geduld und Ruhe vor. Sie üben, giftige von geniessbaren Pflanzen zu unterscheiden, bauen und verbessern ihre Nester und lernen das Erkennen und Vermeiden von Gefahren wie Giftschlangen oder giftige Pflanzen. Ziel ist es, ihre Selbstständigkeit sowie ihre motorischen und kognitiven Fähigkeiten Tag für Tag zu fördern.
Fokuswoche zum Welt-Orang-Utan-Tag
Dieser Artikel ist Teil unserer Themenwoche rund um die Rehabilitierung und Auswilderung von Orang-Utans bei BOS.
Bereits erschienen:
– Die Rettung: Wenn jede Minute zählt
– Das Babyhaus: Geborgenheit für die Kleinsten
Aktueller Beitrag:
– Die Waldschule: Wie Orang-Utans das Überleben lernen
Demnächst:
– Auswilderung: Der grosse Schritt in die Freiheit
– Nachwuchs im Regenwald: Wenn Auswilderung zum Erfolg wird

Freundschaften und Fortschritte
Jeni gehört inzwischen zu den mutigeren Schülerinnen. Sie liebt es, mit ihren Gspänli durch die Bäume zu hangeln oder mit ihrem besten Freund Alexander neue Kletterrouten auszuprobieren. Auch Aiko, ein weiteres Orang-Utan-Mädchen, sucht oft ihre Nähe. Diese sozialen Kontakte sind ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung, denn gerade wenn die eigene Mutter als Lehrerin fehlt, lernen die Tiere auch viel voneinander durch Abschauen und Imitation. Daher spricht man bei Orang-Utans auch von sozialem Lernen. So werden sie in der Gruppe immer selbständiger und sicherer.

Mittagsruhe und Rückkehr
Zur heissesten Tageszeit ziehen sich die Tiere in selbstgebaute Nester oder kleine Hängematten zurück. Auch dann bleiben die Babysitterinnen in der Nähe und beobachten ihre Schützlinge. Am Nachmittag, gegen 15 oder 16 Uhr, geht es zurück zur Station. Dort folgt eine kurze Gesundheitskontrolle, manchmal noch eine zusätzliche Fütterung, und es bleibt Zeit zum Spielen oder für weiteres Training auf dem Spielplatz. Manche Tiere beginnen in dieser Phase auch mit längeren Aufenthalten oder ersten Übernachtungen im Wald.

Möchten Sie Jeni auf diesem Weg begleiten?
Die Waldschule ist weit mehr als ein Übungsplatz. Sie ist der Schlüssel zu einem selbstständigen Leben im Regenwald und damit zu einer erfolgreichen Auswilderung. Jenis Geschichte zeigt, wie wertvoll die Waldschule für verwaiste Orang-Utans ist. Vom verletzten, lethargischen Baby hat sie sich zu einer lebensfrohen kleinen Gaunerin entwickelt, die mit jedem Tag näher an ein wildes Leben im Regenwald rückt.
Übernehmen Sie eine Patenschaft für Jeni und ermöglichen Sie ihr damit die lange und intensive Ausbildung und Betreuung, die sie braucht. Ihre Unterstützung schenkt Jeni nicht nur Nahrung und Pflege, sondern auch Geborgenheit, Förderung und eine echte Perspektive für ein Leben in Freiheit.